Streuobstwiesen sind alte, von Menschen geschaffene Kulturlandschaften, die auf eine Mehrfachnutzung ausgelegt sind: Die Obstbäume liefern frisches Obst, und die Fläche darunter kann zur extensiven Beweidung (z.B. durch Schafe) oder für Heumahd genutzt werden. Damit die Wiese unter den Bäumen genügend Licht bekommt und wachsen kann, wurden die Bäume in weiten Abständen gepflanzt – daher auch der Name „Streuobstwiese“: die Bäume stehen „verstreut“ auf der Fläche, und es entsteht eine lichter Hain.
Streuobstwiesen sind besondere Ökosysteme, die unterschiedlichste Lebensräume ausbilden. Bis zu 5000 Tier- und Pflanzenarten tummeln sich hier auf mehreren „Etagen“, von den Kellerräumen unter der Erde über die Krautschicht durch die verschiedenen Stockwerke des Baumes bis in die höchsten Wipfel.
Darüber hinaus sind Streuobstwiesen Schatzkammern genetischer Vielfalt: Mehrere tausend(!) Apfel- und Birnsorten finden sich auf europäischen Streuobstwiesen, mit unterschiedlichsten Eigenschaften und Verwendungsformen. Damit stehen sie im scharfen Kontrast zu den wenigen Apfel- und Birnsorten, die überhaupt noch im Erwerbsanbau angebaut und im Supermarkt verkauft werden.
Nicht zuletzt sind Streuobstwiesen schöne und besondere Räume für Menschen, insbesondere während der Blüte und zur Erntezeit. Als Kulturlandschaft verdeutlichen sie, wie eng Natur und Kultur miteinander verflochten sind: Die Pflege von Streuobstwiesen ist zeitintensiv und setzt handwerkliches Können (z.B. über die Veredelung) und Wissen zu den sortenspezifischen Eigenschaften voraus. Historisch ging diese Form der Bewirtschaftung oft einher mit gemeinschaftlichen Ritualen, Festen und Bräuchen, wie z.B. der Baumpflanzung bei Geburten oder Blüten- und Erntefesten. Deshalb gelten Streuobstwiesen seit 2021 als immaterielles UNESCO-Kulturerbe.
Zugleich sind Streuobstwiesen akut bedroht: laut NABU ist in Deutschland der Bestand von Streuobstwiesen seit 1950 um bis zu 80% gesunken. Das Bundesamt für Naturschutz führt sie auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen und beschreibt ihren Status als „stark gefährdet bis von vollständiger Vernichtung bedroht“. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber vor allem in der Änderung der Landnutzung zu suchen: Durch die Intensivierung der Landwirtschaft ist die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen zunehmend unrentabel geworden. Heute wird Tafelobst in Obstplantagen mit kleinwüchsigen Bäumen angebaut, auf denen das Obst unter hohem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (Pestiziden) heranreift. Diese hoch spezialisierten Plantagen können es mit dem Artenreichtum alter Streuobstwiesen bei weitem nicht aufnehmen.
Mit dem Rückgang der Streuobstwiesen ging auch das Wissen um die Pflege der Bäume verloren. Dabei handelt es sich bei Obstbäumen um Pflanzen, die für ein gesundes Gedeihen und den Aufbau eines stabilen Kronengerüsts über viele Jahre hinweg auf regelmäßigen Schnitt angewiesen sind! Bleibt dieser aus, vergreisen die Bäume sehr früh – sie verlieren an Vitalität, bilden nur noch Obst von mangelnder Qualität aus und werden anfällig für Krankheiten. Im schlimmsten Fall werden die Bäume keine 20 Jahre alt, bevor sie auseinander brechen und absterben – dabei können Hochstammbäume über 200 Jahre alt werden! Gerade bei Pflanzungen, die als Ausgleichsmaßnahmen z.B. für einen Autobahnausbau vorgenommen werden, wird diese Pflege aber häufig vernachlässigt, weshalb diese Pflanzungen eigentlich nie den ökologischen Status einer „vollwertigen“ Streuobstwiese erreichen.
Immer weniger Menschen wissen, wie man Obstbäume richtig pflanzt, veredelt und pflegt. Damit einher ging und geht ein dramatischer Wissensverlust. Früher hatte jede Region in Deutschland eigene „Regionalsorten“, die besonders gut angepasst waren an die örtlichen Gegebenheiten. Nachbar*innen tauschten untereinander Reiser (die einjährigen Triebe eines Baumes, die man zum Veredeln nutzen kann) verschiedener Sorten aus, und wenn Menschen aufgrund von Krieg oder Not flüchten mussten, nahmen sie Reiser ihrer alten Obstbäume mit.
weiterführende Informationen: Streuobstwiesen-Bündnis Niedersachsen; NABU; UNESCO